Mein Mutterland

Aus meiner eigenen Kinderstube geplaudert.

Meine Mutter hat mich nicht nur neun Monate lang in ihrem Körper beherbergt und verwöhnt. Sie war nicht nur bisher mehr als 50 Jahre lang eine geistreiche und mitfühlende Gesprächspartnerin. Nein, sie hat bis heute auch meine inneren Bilder und Vorstellungen darüber geprägt, wie man glücklich durchs Leben gehen und alt werden kann. Interessanterweise habe ich kürzlich im Buch „Der Methusalem Code“ des Österreichischen Medizinjournalisten Bert Ehgartner sieben Merkmale von langlebigen Menschen gefunden, die alle voll auf meine Mutter zutreffen.

Ich sehe meine Mutter gerne zusammen mit meinem Vater. Erst im vergangenen Jahr konnten wir mit ihnen im großen Familienkreis ihre Diamanten Hochzeit feiern. Sie haben es geschafft, ihre Beziehung bis heute lebendig zu erhalten. Es ist schön, dabei zu sein, wenn sie miteinander reden. Von ihrem Miteinander strahlen Wärme und Respekt ab. Legendär sind die selbstgebackenen Torten meiner Mutter, besonders ihr Frankfurter Kranz. Meine Mutter versteht es, zu genießen und anderen Genuss zu bereiten. Es gibt so viele Möglichkeiten, in einem vernünftigen Rahmen Genussvolles zu kosten und zu schmecken. Bis heute hat sich meine Mutter das nicht nehmen lassen.

Obwohl sie mit körperlichen Einschränkungen leben muss, läuft meine Mutter so viel wie möglich zu Fuß. In dem kleinen Ort, in dem meine Eltern leben, kann man sie häufig im Straßenbild sehen. Sie sucht nicht das bequeme Leben, sondern liebt es, aktiv und unterwegs zu sein. Für Gespräche über eine gesunde Ernährung ist sie immer aufgeschlossen. Gerne probiert sie vollwertige Kochrezepte aus. Einfache Hausmannskost ist ihr Ding. Sie freut sich, wenn ich ihr was von meinem selbstgemachten Sauerkraut abgebe.

Sie lebt gemeinsam mit meinem Vater nicht abgeschottet und zurückgezogen, sondern bringt sich, so viel sie kann, sozial ein. In ihrer freikirchlichen Gemeinde wird sie sehr vermisst, wenn sie mal für einige Zeit auf Reisen ist. Gerne nimmt sie an allem Anteil, was in der Familie und Verwandtschaft passiert. Meiner Mutter gestaltet ihr Leben von innen heraus, selbstbestimmt. Sie jammert nicht, sondern sucht aktiv nach Mitteln und Wegen, wie sie mit dem Leben klarkommt, so wie es ist. Angst ist nicht ihre Sache, sondern Zuversicht und das Vertrauen in eine gute Macht, die größer ist als sie.

Immer wieder überraschen mich ihre Schlagfertigkeit und ihr trockener Humor. Es macht Spaß, sich mit ihr gemeinsam auch mal Spitzen zuzuwerfen und zu lachen. Ja, meine Mutter hat mich davon überzeugt, dass man trotz Schicksalsschlägen und Widrigkeiten glücklich alt werden kann. Keine Frage, dass ich versuche, ihr nachzueifern.

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